Elisabeth Wehling: Krieg gegen Corona - die Macht der Worte | After Corona Club | 28 | NDR Doku

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Die Welt ist "im Krieg" gegen Corona, das Virus ist eine "Plage". Wie beeinflusst die Rhetorik in der Corona-Krise unser Denken? Die Sprachwissenschaftlerin und Kognitionsforscherin Elisabeth Wehling erklärt, dass die Begriffswahl, die wir auf die Pandemie, die Situation und den Virus anwenden, "wahnsinnig wichtig" sei. "Weil die Sprache, die wir nutzen, unser Denken und Handeln mit anleitet." Elisabeth Wehling ist zu Gast bei Anja Reschke im After Corona Club.

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Die Welt ist "im Krieg" gegen die Pandemie, das Virus ist eine "Plage". Wie beeinflusst die Rhetorik in der Corona-Krise unser Denken? Die Sprachwissenschaftlerin und Kognitionsforscherin Elisabeth Wehling erklärt, dass die Begriffswahl, die wir auf die Pandemie, die Situation und den Virus anwenden, "wahnsinnig wichtig" sei. "Weil die Sprache, die wir nutzen, unser Denken und Handeln mit anleitet." Elisabeth Wehling leitet am Internationalen Computer Science Institute in Berkeley, USA, Forschungsprojekte zu Ideologie, Sprache und unbewusster Meinungsbildung. Es mache beispielsweise einen riesigen Unterschied, ob wir von "Corona-Pandemie" oder "Corona-Krise" sprechen.  Im Wort "Krise" schwinge die Bedrohlichkeit der Situation deutlich mehr mit.

"Framing": Bedeutungsrahmen für Begriffe

Elisabeth Wehlings besonderes Forschungsinteresse gilt dem "Framing". Frame, englisch für Rahmen, meint einen Bedeutungsrahmen für einen sprachlichen Begriff. Gefühle, die wir unbewusst damit verbinden. Ein einfaches Beispiel für "Framing" ist die Beschreibung eines Stücks Käse. Der habe entweder "20 Prozent Fettgehalt" oder er ist "80 Prozent fettfrei". "Das ist Framing: Ein und derselbe Fakt wird aus zwei unterschiedlichen, oftmals sich widersprechenden Perspektiven gesprochen und gedacht", erklärt die Forscherin. Je nachdem, was für ein Wort man verwende, entscheide man sich für eine Perspektive.

Soziales oder physisches Distanzieren?

In der Corona-Zeit sind neue Begriffe aufgetaucht: "Social distancing", "Durchseuchung" oder die Kriegsmetaphorik von Regierenden, die sich im "Krieg" gegen das Virus sehen. Den Ausdruck "Social distancing" sieht Wehling kritisch. Zum einen weil es ein englischer Begriff ist. Aus der Sozialpsychologie wisse man, wenn Menschen auf einer Fremdsprache bewertende Entscheidung treffen müssen, "dass dann diese Entscheidungen deutlich abgeschwächt werden". Zum anderen bedeutet "Social distancing" übersetzt "Soziales Distanzieren" und das bilde die faktische Situation gar nicht ganz ab. "Denn wir sollen uns ja nicht sozial distanzieren." Man spreche ja weiterhin mit seiner Familien und anderen Menschen. "Es geht eigentlich um das physische Distanzieren."

Begriffe erzeugen Assoziationen und Emotionen

Die Rede ist auch oft von Durchseuchung. In der Fachsprache beschreibt der Begriff die Verbreitung einer Infektionskrankheit in der Bevölkerung. Unabhängig von Corona denken viele beim Wort Seuche ans Mittelalter, erklärt Elisabeth Wehling, "an Zeiten, in denen auch das Handhaben von Erkrankungen und Pandemien gar nicht so gut machbar war, wie es heute der Fall ist".

Elisabeth Wehling hat auch die Kriegsmetaphorik von Regierenden wie Trump oder Macron im Blick. Die habe zwei Seiten: Kriegerische Sprachbilder machen Angst, schüren das Bedürfnis nach Abschottung, mobilisieren aber auch eher zum Handeln. Damit gieße man "mehr Öl ins Feuer der nationalen Abgrenzung, mehr Öl ins Feuer der Idee, dass man eine Art Militärschlag gegen diesen Virus vollziehen und die Sache auf immer gewinnen kann. Und auf der anderen Seite sicherlich eine Mobilisierung und die Chance, dass Menschen sich entsprechend der Schutzregeln verhalten."

Trump nutze Sprache fast "meisterhaft"

In den USA beobachtet Wehling auch die Reden von Donald Trump. Der spricht in der Corona-Krise gern vom "China-Virus" und liefert damit gleich den seiner Ansicht nach Schuldigen mit. Die Pandemie bezeichnet er als "Plague" und erinnert damit an die biblischen Plagen, mit denen Gott die Ägypter bestrafte. Wehling ordnet das ein in den Kontext seiner amerikanischen Wählerschaft. Ein Großteil von Trumps Anhängern ist religiös. Und einige glaubten auch, dass Donald Trump von Gott ins Amt gebracht worden sei.

Einfache, direkte Sprache und permanente Wiederholung - Trump nutze die Sprache teilweise fast "meisterhaft", glaubt Elisabeth Wehling. "Donald Trump ist, was seine Sprache betrifft, absolut versiert." Oftmals werde ja über Donald Trump gesagt, er sei chaotisch in seiner Kommunikation und er mache das alles so aus dem Hemdsärmel heraus. "Nichts könnte falscher sein als diese Einschätzung."

Wehlings Empfehlung auch für Deutschlands Politiker ist, "sorgsam mit der eigenen Sprache umzugehen". Mehr Bewusstsein dafür zu entwickeln, wie Sprache die Gleise legt für unser Denken und Handeln, denn Sprache ist nach ihrer Überzeugung Politik.

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