5. Zwischenruf: 23. März 2020
Erich Marks im Gespräch mit Prof. Dr. Rita Haverkamp
„Kontaktverbote - was sie für Jugendliche und marginalisierte Gruppen bedeuten“
In der aktuellen Krise stellen sich auch in der Gewalt- und Kriminalprävention drängende Fragen. Der Deutsche Präventionstag bietet mit den DPT-Zwischenrufen prominenten Fachvertreter*innen eine Stimme.
Die Audioaufzeichnungen der von Erich Marks geführten Expertengespräche können Sie auf der Seite des Deutschen Präventionstages abrufen: https://www.praeventionstag.de/go/zwi...
https://www.praeventionstag.de
Auszug der Textfassung:
Zum heutigen Zwischenruf begrüße ich am Telefon Frau Prof. Dr. Rita Haverkamp. Frau Haverkamp ist Juristin und Kriminologin und hat seit Oktober 2013 die deutschlandweit einzige Stiftungsprofessur für Kriminalprävention und Risikomanagement an der Universität Tübingen inne.
Frau Haverkamp, ich begrüße Sie herzlich und darf Sie zunächst fragen, welche Präventionsaspekte Ihnen aktuell besonders wichtig erscheinen?
Der Umgang mit dem Coronavirus hat uns im Griff. Als gesundheitliche Präventionsmaßnahme ist „soziale Distanzierung“ das Schlagwort der Stunde. Der politische Aufruf hierzu kam in der letzten Woche bei wunderbarem Frühlingswetter in den Köpfen einiger Menschen nicht an. Sie genossen die Zeit draußen und rückten vor Cafés und Restaurants zusammen. Der empfohlene Sicherheitsabstand von 1,5 Metern wurde nicht eingehalten. Jugendliche in Freiburg fielen negativ mit sogenannten Coronaparties auf, Jugendliche woanders gingen offensiv auf Passantinnen und Passanten zu und erschreckten diese laut mit „Coronavirus“. Daraufhin warfen ihnen namhafte Persönlichkeiten aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, wie auch Politik und Medien, Egoismus vor. Aber handelt es sich tatsächlich um Egoismus? Die kriminologische Forschung weiß schon lange, dass junge Menschen bis etwa 21 Jahren vielfach mit sich selbst beschäftigt sind und in einer Phase der Rebellion stecken. Sozial deviante Verhaltensweisen kennzeichnen die Pubertät der meisten. Diese schwierige Phase macht den „vernünftigen“ Erwachsenen seit alters her zu schaffen. Die Jugend, auch wenn dies zu allgemein formuliert ist, ist unvernünftig und meint, ihr kann sowieso nichts oder nicht viel anhaben und fühlt sich irgendwie unsterblich. Der daraus resultierende risikosuchende Lebensstil ist in Zeiten der Coronavirus-Pandemie schwer zu ertragen und es stellt sich die Frage, wie sich die jungen Menschen erreichen lassen.
Es geht Ihnen also primär um die Haltungen junger Menschen?
Jugendliche sind allerdings nicht die einzige Gruppe, die in der Öffentlichkeit auffällt und medial oft thematisiert werden. Weniger Beachtung finden marginalisierte Gruppen wie Obdachlose, Drogenkonsumierende und andere Menschen, die auf den öffentlichen Raum angewiesen sind. Der alkoholkranke Obdachlose gehört zu denjenigen, die vom Coronavirus am stärksten bedroht sind. Was bedeutet dies für deren Risikoverhalten? Die Angehörigen marginalisierter Gruppen verhalten sich, ähnlich der sogenannten Durchschnittsbevölkerung, unterschiedlich. Manche unter ihnen versuchen, sich sozial abzugrenzen, was eine doppelte soziale Ausgrenzung bedeutet: einerseits eine ungewollte durch die sogenannten Normalbürgerinnen und -bürger und andererseits eine „frei gewählte“ von der Szene. Diese soziale Isolation stellt eine immens hohe Belastung für die Betroffenen dar, weil ihre Beziehungen persönlichen Kontakt voraussetzen und digitale Zusammenkünfte regelmäßig ausgeschlossen sind. Andere hocken mit ihren Freunden und Bekannten zusammen, nach dem Motto „geteiltes Leid ist halbes Leid“, und wiederum andere legen eine „Mir-ist-alles-egal“-Haltung an den Tag, die darauf zurückzuführen ist, dass der eigene Lebensstil riskant ist und sie darunter leiden. Das Leben gefährdende Krankheiten sind sowieso verbreitet und eine gesundheitliche Bedrohung mehr schreckt auch nicht mehr.
Erich Marks im Gespräch mit Prof. Dr. Rita Haverkamp
„Kontaktverbote - was sie für Jugendliche und marginalisierte Gruppen bedeuten“
In der aktuellen Krise stellen sich auch in der Gewalt- und Kriminalprävention drängende Fragen. Der Deutsche Präventionstag bietet mit den DPT-Zwischenrufen prominenten Fachvertreter*innen eine Stimme.
Die Audioaufzeichnungen der von Erich Marks geführten Expertengespräche können Sie auf der Seite des Deutschen Präventionstages abrufen: https://www.praeventionstag.de/go/zwi...
https://www.praeventionstag.de
Auszug der Textfassung:
Zum heutigen Zwischenruf begrüße ich am Telefon Frau Prof. Dr. Rita Haverkamp. Frau Haverkamp ist Juristin und Kriminologin und hat seit Oktober 2013 die deutschlandweit einzige Stiftungsprofessur für Kriminalprävention und Risikomanagement an der Universität Tübingen inne.
Frau Haverkamp, ich begrüße Sie herzlich und darf Sie zunächst fragen, welche Präventionsaspekte Ihnen aktuell besonders wichtig erscheinen?
Der Umgang mit dem Coronavirus hat uns im Griff. Als gesundheitliche Präventionsmaßnahme ist „soziale Distanzierung“ das Schlagwort der Stunde. Der politische Aufruf hierzu kam in der letzten Woche bei wunderbarem Frühlingswetter in den Köpfen einiger Menschen nicht an. Sie genossen die Zeit draußen und rückten vor Cafés und Restaurants zusammen. Der empfohlene Sicherheitsabstand von 1,5 Metern wurde nicht eingehalten. Jugendliche in Freiburg fielen negativ mit sogenannten Coronaparties auf, Jugendliche woanders gingen offensiv auf Passantinnen und Passanten zu und erschreckten diese laut mit „Coronavirus“. Daraufhin warfen ihnen namhafte Persönlichkeiten aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, wie auch Politik und Medien, Egoismus vor. Aber handelt es sich tatsächlich um Egoismus? Die kriminologische Forschung weiß schon lange, dass junge Menschen bis etwa 21 Jahren vielfach mit sich selbst beschäftigt sind und in einer Phase der Rebellion stecken. Sozial deviante Verhaltensweisen kennzeichnen die Pubertät der meisten. Diese schwierige Phase macht den „vernünftigen“ Erwachsenen seit alters her zu schaffen. Die Jugend, auch wenn dies zu allgemein formuliert ist, ist unvernünftig und meint, ihr kann sowieso nichts oder nicht viel anhaben und fühlt sich irgendwie unsterblich. Der daraus resultierende risikosuchende Lebensstil ist in Zeiten der Coronavirus-Pandemie schwer zu ertragen und es stellt sich die Frage, wie sich die jungen Menschen erreichen lassen.
Es geht Ihnen also primär um die Haltungen junger Menschen?
Jugendliche sind allerdings nicht die einzige Gruppe, die in der Öffentlichkeit auffällt und medial oft thematisiert werden. Weniger Beachtung finden marginalisierte Gruppen wie Obdachlose, Drogenkonsumierende und andere Menschen, die auf den öffentlichen Raum angewiesen sind. Der alkoholkranke Obdachlose gehört zu denjenigen, die vom Coronavirus am stärksten bedroht sind. Was bedeutet dies für deren Risikoverhalten? Die Angehörigen marginalisierter Gruppen verhalten sich, ähnlich der sogenannten Durchschnittsbevölkerung, unterschiedlich. Manche unter ihnen versuchen, sich sozial abzugrenzen, was eine doppelte soziale Ausgrenzung bedeutet: einerseits eine ungewollte durch die sogenannten Normalbürgerinnen und -bürger und andererseits eine „frei gewählte“ von der Szene. Diese soziale Isolation stellt eine immens hohe Belastung für die Betroffenen dar, weil ihre Beziehungen persönlichen Kontakt voraussetzen und digitale Zusammenkünfte regelmäßig ausgeschlossen sind. Andere hocken mit ihren Freunden und Bekannten zusammen, nach dem Motto „geteiltes Leid ist halbes Leid“, und wiederum andere legen eine „Mir-ist-alles-egal“-Haltung an den Tag, die darauf zurückzuführen ist, dass der eigene Lebensstil riskant ist und sie darunter leiden. Das Leben gefährdende Krankheiten sind sowieso verbreitet und eine gesundheitliche Bedrohung mehr schreckt auch nicht mehr.
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